Institutionelles Schutzkonzept (ISK)
Unter einem „Institutionellen Schutzkonzept“ (ISK) versteht man Präventionsmaßnahmen eines kirchlichen Rechtsträgers, um sexualisierter Gewalt entgegen zu wirken. Sie werden in einem Gesamtkonzept gebündelt, welches sich an den (Ziel-)Gruppen und deren Lebenswelt in der jeweiligen Institution orientiert.
Das ISK ist ein Qualitätsmerkmal, mit dem eine Pfarrei (Verbände und andere kirchliche Rechtsträger sind analog zu betrachten) Stellung bezieht und unterstreicht, dass dem Schutz der ihr anvertrauten Personen höchste Priorität beigemessen wird. Grundlage ist eine Kultur des achtsamen Miteinanders, der unbedingten Wertschätzung und des respektvollen Umgangs aller Mitglieder innerhalb der Pfarrei.
Die Erarbeitung eines ISK ist ein Organisationsentwicklungsprozess,
- in dem die Pfarreileitung, i.d.R. der leitende Pfarrer, die Verantwortung für die Erstellung übernimmt.
- in dem Haltungen und Kultur in der Pfarrei zur Sprache kommen.
- in dem sich Pfarreien mit möglichen Risiken für Minderjährige und schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene in ihrem Angebot auseinandersetzen. (Risikoanalyse)
- in dem vorliegende Risiken offengelegt, eine klare Haltung gegen sexualisierte Gewalt eingenommen und daraus resultierende Maßnahmen formuliert werden. (Veränderungen, Vereinbarungen und Absprachen)
- in dem Kinder, Jugendliche und schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene nach deren Möglichkeit beteiligt sind. (Partizipation)
Der Gewinn durch ein ISK:
- reflektierte Auseinandersetzung mit institutionellen Gegebenheiten, Strukturen und Umgangsweisen
- Orientierung und Handlungssicherheit aller Beteiligten
- Signal nach innen und außen, dass mit dem Thema Prävention sexualisierter Gewalt verantwortungsvoll und professionell umgegangen wird
- Schaffen von Transparenz und Vertrauen (auch als Schutz vor falscher Verdächtigung)
- Thematisierung, Aufdeckung und Verhinderung von Grenzverletzungen und Übergriffen
- Aufbau und Weiterentwicklung einer Kultur des achtsamen Miteinanders
Das ISK besteht aus folgenden Bausteinen:
Risiko- und Schutzanalyse
Am Beginn der Entwicklung eines ISK steht die genaue und ehrliche Analyse der eigenen Pfarrei im persönlichen, konzeptionellen, strukturellen und räumlichen Bereich.
Es geht darum, die eigene Pfarrei kritisch in den Blick zu nehmen und mögliche„verletzliche“ Stellen, sogenannte Risikofaktoren, zu identifizieren. Aber auch die bereits vorhandenen Strukturen für einen sicheren Ort zu analysieren, zu benennen und zu stärken (Schutzmaßnahmen). Eine Beteiligung derer, die es angeht ist hierbei entscheidend, um unterschiedliche Blickwinkel einzubeziehen und blinde Flecken nach Möglichkeit zu minimieren. Es gilt Stärken zu stärken und Schwächen zu schwächen. Das Thema Prävention soll zum Querschnittsthema in der Pfarrei (angefangen von der Gruppenstunde zum Thema Kinderrechte bis hin zur Diskussion zu Führungskultur im Pfarrteam) gemacht werden, es geht um Enttabuisierung, Sensibilisierung und Begriffsschärfung. Durch diese intensive Auseinandersetzung wird die Kultur des achtsamen Miteinanders weiterentwickelt.
Durch die Arbeit an der Risiko- und Schutzanalyse entsteht ein differenziertes Bild der Pfarrei. Sowohl Risiken als auch bereits vorhandene Schutzmaßnahmen liegen offen. Die Ergebnisse aus diesem Arbeitsschritt fließen in die Bausteine des ISK ein, insbesondere in den Verhaltenskodex.
Blickwinkel der Risiko- und Schutzanalyse sind:
- Beziehungs-& Kontaktgestaltung
- Körperkontakt
- emotionale Situationen
- 1:1 Situationen
- Macht- & Abhängigkeitsverhältnisse
- räumliche Situationen
- herausfordernde Themen
Personalauswahl- und Entwicklung
In Bewerbungsgesprächen mit Angestellten der Pfarrei bzw. Erstgesprächen mit neuen Ehrenamtlichen ist es notwendig, die institutionellen Präventionsmaßnahmen vorzustellen und eine Zustimmung dazu abzufragen. Das Vorlegen eines Erweiterten Führungszeugnises (eFZ) und das Unterzeichnen der Selbstauskunftserklärung ist integraler Bestandteiler der Personalauswahl.
Wird bereits hier deutlich, dass sich die Pfarrei aktiv dem Schutz vor sexualisierter Gewalt verschrieben hat, so können potentielle Täter:innen abgeschreckt werden. Vor Unterschrift des Arbeitsvertrages ist mindestens eine schriftliche Information zum ISK mit seinen einzuhaltenden Schritten (z.B. Verhaltenskodex, Beschwerdewege, verpflichtende Präventionsschulung…) auszuhändigen. Hier wird auch darauf verwiesen, welche Dokumente von den zukünftigen Mitarbeitenden beigebracht werden müssen. In der Einarbeitungszeit und in den jährlichen Mitarbeitergesprächen muss Raum für die Thematik Prävention geschaffen werden.
Selbstauskunftserklärung
Alle Mitarbeitenden und ehrenamtlich tätige Person, der/die ein eFZ vorlegt, wird zusätzlich aufgefordert eine Selbstauskunftserklärung zu unterschreiben. Mit dieser bestätigt die Person, dass bezüglich der einschlägigen Paragraphen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist bzw. und keine rechtskräftige Verurteilung erfolgte.
Damit schließt die Selbstauskunftserklärung eine Lücke, die das eFZ nicht abdeckt, da dieses nur bereits abgeurteilte Verfahren beinhaltet. (Ausnahmen müssen von der Pfarreileitung schriftlich mit Begründung dokumentiert werden.)
Dritte
Beauftragt die Pfarrei externe Personen oder Firmen zur Durchführung von Dienstleistungen oder werden Räume der Pfarrei Dritten überlassen, sind die obigen Punkte analog einzuhalten. Die Pfarrei und der externe Dienstleister verständigen sich untereinander über die Einhaltung der gesetzlichen Standards.
Verhaltenskodex
Ein Verhaltenskodex ist eine schriftliche Zusammenstellung verbindlich geltender, klar und verständlich formulierter, umsetzbarer und öffentlich bekannter Verhaltensregeln. Vor allem bezogen auf den angemessenen Umgang mit Nähe und Distanz und einen respektvollen Umgang aller Pfarreimitglieder untereinander.
Er trägt insbesondere dazu bei, dass die Kultur des achtsamen Miteinanders konkret beschrieben und ausdifferenziert wird.
Er verfolgt diese Zielsetzungen:
- Überwindung von Sprachlosigkeit und Unsicherheiten im Umgang mit sexualisierter Gewalt
- Durchkreuzen von typischen Täter:innenstrategien (z.B. Bevorzugungen) und damit Erschwerung von Grooming
- Sichereres Erkennen, Benennen und Stoppen von Fehlverhalten sowohl durch Betroffene als auch durch beobachtende Dritte
- Abbau von Ängsten und Unsicherheiten im eigenen Verhalten: Was darf ich überhaupt noch?
- Schaffen von Sicherheit und Orientierung im eigenen Verhalten: Ich bewege mich innerhalb der vereinbarten Standards!
- Erleichterung Hilfe zu holen, wenn Regelungen übertreten werden
- Schutz vor falschen Beschuldigungen und Verdächtigungen
- Basis zur Eigenreflexion und zur Reflexion des professionellen Umgangs mit Nähe und Distanz im Team und dadurch Verbesserung der Qualität der Arbeit in der Pfarrei
Jede Pfarrei erarbeitet ihren eigenen Verhaltenskodex. Darüber hinaus erfordern besondere Tätigkeitsbereiche (z.B. die Asylarbeit oder der Seniorenkreis einer Pfarrei) und Situationen (z.B. eine Fahrt der Jugendgruppe nach Assisi oder geistliche Begleitung) ggf. konkrete eigene Regelungen, wenn besondere Nähe oder Abhängigkeiten (z.B. Übernachtung, 1:1 Situationen…) gegeben sind.
Der Verhaltenskodex umfasst Regelungen zu:
- Beachtung der Intimsphäre
- Gestaltung von Nähe und Distanz
- Angemessenheit von Körperkontakt
- Sprache und Wortwahl
- Zulässigkeit von Geschenken und Vergünstigungen
- Umgang mit und Nutzung von Medien und sozialen Netzwerken
- Disziplinierungsmaßnahmen (erzieherische Maßnahmen)
- Angebote mit Übernachtung, Nachtdienst und vergleichbare Situationen
Kinder, Jugendliche, schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene müssen angemessen in die Entwicklung des Verhaltenskodex eingebunden werden.
Jede:r haupt‑, neben‑, und ehrenamtliche:r Mitarbeiter:in verpflichtet sich in einer Verpflichtungserklärung darauf den Verhaltenskodex einzuhalten.
Dienstanweisungen und hausinterne Regelungen
Soll der Verhaltenskodex eine arbeitsrechtliche Verbindlichkeit für die Angestellten der Pfarrei haben, muss die Pfarrei ihn als Dienstanweisung in Kraft setzen.
Neben dem Verhaltenskodex hat die Pfarrei auch die Möglichkeit in Gebäuden der Pfarrei (z.B. Pfarrheim …) eine Hausordnung zu erlassen, um den Qualitätsstandard der Pfarrei hinsichtlich Schutz der Anvertrauten sichtbar werden zu lassen.
Vorgehensweise im Verdachts- oder Beschwerdefall
Die Pfarrei beschreibt im ISK auch, wie im Verdachts- oder Beschwerdefall zügig vorgegangen werden soll, um weiteren Schaden abwenden zu können.
Auch krisenerfahrene Organisationen reagieren auf Missbrauchs- und Gewalthandlungen in den eigenen Reihen mit einem Schockzustand. Alle Beteiligte sehen sich mit Gefühlen konfrontiert, die nichts mit ihrem“normalen” Erfahrungsschatz innerhalb der Organisation zu tun haben. Eine strukturiert beschriebene Verfahrensweise im Verdachts- oder Beschwerdefall soll die Handlungsfähigkeit aufrecht erhalten und soll einem zu schnellen, unkoordiniertem und dem anfänglichen Schock antwortendem Handeln entgegenwirken und eine nötige Orientierung in der Ausnahmesituation bieten. Hauptsächlich ist die Leitungsebene dafür verantwortlich , Schaden von den Beteiligten abzuwenden, dabei stehen der Schutz und die Rechte von Betroffenen im Fokus. Auch auf angemessene Dokumentation, Beachtung des Datenschutzes und das Gewährleisten von Vertraulichkeit muss geachtet werden.
Für alle Beteiligte soll sichergestellt werden, dass Beratungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Pfarrei und inner- und außerkirchlich sowie die Melde- und Beschwerdewege in geeigneter Form bekannt gemacht sind. Außerdem soll im ISK beschrieben werden, wie nach einem Vorfall oder Verdacht mit dem betroffenen Umfeld (z.B. dem Pfarrgemeinderat oder der Kirchenverwaltung) weitergearbeitet werden soll.
Es haben sich niederschwellige Meldemöglichkeiten bewährt, die mehrere Kommunikationskanäle bedienen (z.B. direktes Gespräch oder digitale Möglichkeit). Es ist auch wichtig zu klären, wie mit Verdachtsmomenten umgegangen wird, die sich nicht erhärten und wie ein:e Beschuldigte:r dann rehabilitiert werden kann. Ein erster wichtiger Schritt bei den Beschwerdewegen ist es daher sachlich und diskret mit Hinweisen umzugehen. Personen, mit Kontakt zu Betroffenen bzw. zu Beschuldigten/Täter:innen erhalten Supervision.
Qualitätsmanagement
Damit die Maßnahmen zur Prävention nachhaltig Beachtung finden und nicht nach Fertigstellung in Vergessenheit geraten, ist es wichtig, dass sie regelmäßig (mindestens alle 5 Jahre) überprüft und in die Abläufe der Pfarrei (ggf. in das bestehende Qualitätsmanagement) verankert werden.
Das ISK sollte regelmäßig auf dessen Wirksamkeit untersucht werden um gegebenenfalls neue Instrumente einzusetzen oder vorhandene zu verändern. Besonders sollten die Abläufe und Vorgaben im ISK evaluiert werden, wenn es zu einem Verdacht oder Vorfall gekommen ist. Ziel ist es für jede Pfarrei bzw. für jeden Pfarrverband eine für Präventionsfragen geschulte Person verfügbar zu haben, die unterstützend und beratend bei der Umsetzung des Institutionellen Schutzkonzeptes unter die Arme greifen kann.
Präventionsschulungen
Präventionsschulungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Präventionsarbeit. Sie bieten Gelegenheit, sich intensiv und ausführlich mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinander zu setzen.
Die Rahmenordnung- Prävention gegen sexualisierte Gewalt verpflichtet alle Mitarbeiter:innen im Bistum Passau und bietet vielen ehrenamtlich Tätigen an, sich zum Thema sexualisierte Gewalt fortzubilden. Wissen aneignen, Sensibilität entwickeln und Handlungssicherheit erlangen sind die Ziele der Präventionsschulungen.
Folgende Inhalte werden vermittelt:
- Basiswissen zu sexualisierter Gewalt: Begriffsdefinition, Strategien von Täter/-innen, Psychosoziale Folgen für Betroffene
- Kultur des achtsamen Miteinanders (Nähe und Distanz, Umgang mit Macht)
- Reflexion des eigenen Verhaltens und Sensibilisierung für Gefährdungsmomente
- Missbrauchsverhindernde und ‑begünstigende Strukturen
- Handlungsempfehlungen bei sexualisierter Gewalt
- Ansprechpersonen zu Missbrauch und Prävention
- Institutionelle Maßnahmen (Schutzkonzept)
- Rechtliche Grundlagen
Die Schulungen finden in Präsenzveranstaltungen statt und leben vom Austausch. Dieser findet Ausdruck in Diskussionen im Plenum, in Gruppen- und Partnerarbeit. Je nach Arbeitsgebiet und Intensivität des Kontaktes zu Minderjährigen sowie schutz- oder hilfebedürftige Erwachsenen sind unterschiedliche Module zu besuchen.
Weitere Präventionsarbeit des Rechtsträgers
Jede Pfarrei soll sich in weiteren präventiven Maßnahmen an die Kinder, Jugendlichen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen unter ihren Mitgliedern wenden.
Zum Beispiel könnte es Gruppenstunden zu den Kinderrechten oder in Aufgreifen der Thematik im gottesdienstlichen Rahmen geben. Zur weiteren Präventionsarbeit gehört es auch, Eltern bzw. Personensorgeberechtigte oder Angehörige mit einzubeziehen (Elternabend, Elterninfos, Elternbefragung…)